Kolumne Februar 2024
„Eine Lehrgeschichte“
Lieber Leser,
in den Lehrgeschichten des maurischen Andalusiens ist folgende Begegnung eines Spaniers mit einem Andalusier überliefert: Der Spanier, der an einem Gemeinschaftshaus der Andalusier in der Nähe von Cordoba Station machte und zum Abendessen einkehrte, sah irritiert zu, wie der Andalusier an seinem Nebentisch sein opulentes Mittagsmahl ihm mit einladender Handbewegung überlies und sich selber eine schlichte Schüssel Gemüse servieren ließ. Er wendete sich Irritiert an den Andalusier: "Sie verzichten also freiwillig auf all diese Leckereien?", fragte der Spanier ungläubig. "Nicht Verzicht, sondern eine Einladung, zudem für mich Besinnung auf Einfachheit", erwiderte der Andalusier mit einem Augenzwinkern. "Es geht darum, das zu schätzen, was wirklich zählt – nicht nur auf unserem Teller, sondern im Leben."
Diese Anekdote leitet uns zu einer tieferen Betrachtung der Fastenzeit, insbesondere im Licht des diesjährigen Fastenmottos der evangelischen Kirche in Bayern: "Komm rüber! Sieben Wochen ohne Alleingänge". Hier in unserer kleinen Geschichte aus dem heißen Cordoba, wird durch den Verzicht des einen nicht nur dessen Körper geschont, es entsteht auch Gespräch und Gemeinschaft.
Gemeinschaft ist in der Natur etwas überlebenswichtiges. So zum Beispiel die tropische Schmetterlingsart Heliconius, die sich spätnachmittags zu kleinen Gruppen zusammenfindet, um die Nacht gemeinsam zu verbringen und sich so vor Fressfeinden zu schützen, lädt uns auch das Fastenmotto dazu ein, die Gemeinschaft bewusst zu leben.
Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister, Botschafter der Fastenaktion, betont die Bedeutung des Miteinanders: "Wir brauchen den Blick, das Ohr, die Hand der anderen." Dieses Miteinander soll nicht nur das Verhältnis zu Partnern, Freunden und Familie stärken, sondern auch den Dialog mit Menschen fördern, die eine andere Meinung vertreten. Das Fasten bietet uns eine Chance, über unsere individuellen Grenzen hinauszuschauen und die Kraft des gemeinsamen Handelns zu entdecken. So dürften wir es in der kleinen Anekdote auch hören.
Die Fastenzeit ermutigt uns, gegenüber Andersdenkenden eine Brücke zu bauen und den ersten Impuls der Gegenrede zu überwinden. In einer Zeit, in der gesellschaftliche Polarisierung und das Gefühl der Einsamkeit zunehmen, erinnert uns die Initiative daran, wie essentiell das Miteinander für unser Wohlergehen ist.
In dieser Fastenzeit geht es also nicht nur um den Verzicht auf Nahrungsmittel oder die Praxis des Intervallfastens, sondern vielmehr um eine Einladung, unsere sozialen Bindungen zu stärken und uns der Vielfalt menschlicher Erfahrungen zu öffnen. Es ist eine Zeit, in der wir dazu aufgerufen sind, Gesprächsangebote zu machen und Räume für Begegnungen zu schaffen, die uns alle ein wenig näher zusammenbringen.
So wie der Heliconius-Schmetterling uns ein Beispiel für die Bedeutung der Gemeinschaft in der Natur gibt, so lädt uns das Motto "Komm rüber! Sieben Wochen ohne Alleingänge" ein, die Freude und den Schutz des Miteinanders in unserem eigenen Leben zu entdecken. Lassen wir uns in dieser Fastenzeit inspirieren, Brücken zu bauen, Grenzen zu überwinden und gemeinsam die Leichtigkeit und das Glück des Zusammenseins zu genießen.
Das wünsche ich Ihnen, Ihr Pfarrer Simon Döbrich