Kolumne September 2023
Zwischen heilsgeschichtlich schweren Lasten und Stallmeuterei
Spätsommerliche Eseleien
Titel: "Bileam und die Eselin", Rembrandt, 1626
„Was hat wohl der Esel gedacht“, sang einst der christliche Liedermacher Manfred Siebald, „in der Heiligen Nacht, als er plötzlich die Fremden sah im Stall …“. Das ist nun nicht sehr spätsommerlich, reizt den urlaubsentspannten Kolumnisten aber dazu, sich die Esel in der Bibel etwas näher anzusehen. Sie sind die heimlichen Stars der biblischen Menschheits- und Heilsgeschichte. Rund neunzig Mal wird das Grautier mit vier Buchstaben in unserer Lutherübersetzung erwähnt.
Ihren ersten Auftritt haben die Esel, als Abraham aufgrund einer Hungersnot nach Ägypten reist und dem Pharao in einem Akt der Eselei seine Frau als seine Schwester vorstellt. Der lässt diese Schönheit in seinen Palast entführen und entschädigt ihren vermeintlichen Bruder, indem er ihm Esel schenkt. Hätte Gott nicht ein wachsames Auge auf die geraubte Sarah gehabt, wäre die Geschichte nicht gut ausgegangen.
Damit war der Auftakt gemacht, und wir finden Esel fortan in zahlreichen Rollen quer durch das Alte Testament. Wer trug das Feuerholz für die Beinahe-Opferung des Isaak bis kurz vor den Ort des Geschehens? Wer trug die ägyptischen Getreidesäcke in der Geschichte von Josef und seinen Brüdern? Wer schaffte es neben Weib, Knecht, Magd, Rind bis in das 10. Gebot hinein? Wussten Sie, dass Mose von den Midianitern neben 32.000 Jungfrauen auch 61.000 Esel erbeutete? Wer erinnert sich noch, dass Saul die ausgebüxten Eselinnen seines Vaters suchen ging und sich am Ende als gesalbter König wiederfand? Und natürlich der arme Esel des Sehers Bileam, der (anders als sein Besitzer) den Engel des Herrn sehen kann, der sich ihnen in den Weg stellt, und aufgrund seiner Weigerung, deshalb weiterzugehen, von diesem nicht-sehenden-Seher mörderisch Prügel bezieht?
Wenn wir schließlich beim Propheten Sacharja lesen, dass sich die Tochter Zion freuen soll, weil ihr König zu ihr kommt, ein Gerechter und ein Helfer, der auf einem Esel reitet, dann sind wir eigentlich schon im Neuen Testament angekommen. Denn dort erfüllt sich mit Jesu Einzug in Jerusalem auf selbigem Reittier ja genau diese Prophezeiung. Was für eine Ehre und Bürde, den Heiland der Welt während des Hosianna! und doch schon kurz vor dem Kreuziget ihn! durch die Straßen Jerusalems zu tragen.
In Manfred Siebalds Lied regt sich der Esel maßlos auf und denkt an „Stallmeuterei“, dass ihn da jemand vom Schlaf abhält und ihm sogar seine Futterkrippe besetzt hält. Freilich wusste er ja nicht, wer es war, der dort lag. „Doch wir“, heißt es weiter, „wissen alle Bescheid / und benehmen uns heut noch genau wie der Esel damals schon: / Denn Jesus darf uns nicht vom Schlaf abhalten, / nicht unsern liebsten Besitz verwalten! / Doch wer ihm die Türen aufmacht, / der hat jeden Tag Heilige Nacht!“
So wird es uns zugesungen. Vielleicht hören wir diese Botschaft auch in spätsommerlichen Sommernächten. An den fleißigen Eseln in der biblischen Menschheits- und Heilsgeschichte sollte es zumindest nicht scheitern!
Ihr
Dr. Philipp Hildmann